Forscherinnen im Fokus – Johanna Heidrich: Fünf Sätze zum Sinn der Forschung

Dieser Artikel stammt aus unserem Buch »Forscherinnen im Fokus – Wir schaffen Veränderung«.

Der Wille, etwas Sinnvolles zu tun, treibt Johanna Heidrich, Doktorandin bei uns am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM, schon seit der Mittelstufe an. Wie aber kann man mit Mathematik einen Beitrag zum Klimaschutz leisten? 

Nach meiner Arbeit ist mir besonders wichtig, dass ...

ich mit ihr positiv Einfluss auf die Gesellschaft und den Klimaschutz nehmen und dafür mein Interesse für das Logische und die Mathematik einsetzen kann. Nach einigen Praktika im Energiebereich und dem Mathematikstudium habe ich mich für die Promotion am Fraunhofer ITWM beworben. Ich bin sehr froh, hier schon vor Abschluss meiner Promotion an der Schnittstelle zwischen Forschung und Anwendung etwas zur Energiewende beisteuern zu können.

Die Optimierung von Wärmenetzen ist mir wichtig, weil ...

Wärme den größten Anteil des Energieverbrauchs in Deutschland ausmacht, mehr sogar als Strom und Verkehr. Das heißt, hier gibt es langfristig großes Potenzial, Erdgas und Erdöl zu sparen und zu ersetzen. Mit der Wärmewende stehen enorme Transformationen in den privaten Haushalten und den Wärmenetzen in urbanen Regionen an. Diese Phase können wir mit mathematischen Methoden und Digitalen Zwillingen der Wärmenetze begleiten. Fragen, bei denen wir Stadtwerke dann unterstützen, sind zum Beispiel: Wie betreiben wir das Wärmenetz über den Tag optimal, wenn es einen oder sogar mehrere Einspeisepunkte für Wärme gibt? Welche zusätzlichen erneuerbaren Erzeugungskapazitäten sind notwendig, wenn wir das Netz in neue Stadtteile ausbauen? Außerdem eignen sich Wärmenetze auch als Pufferspeicher, die wir für die wechselhafte Sonnen- oder Windenergie im Strombereich brauchen. Insgesamt liegt auf jeden Fall enormes Optimierungspotenzial in den Wärmenetzen, gerade wenn die Netze auf den zukunftssicheren Betrieb mit erneuerbarer Energie umgestellt werden.

Frau N. Hofer im Interview
© Fraunhofer ITWM
Frau N. Hofer im Interview

Mathematik und KI leisten im Bereich der Energiewende ...

schon bald sehr viel! Wir sind mithilfe mathematischer Modellierung in der Lage, in Simulationen sehr genau abzubilden, welche physikalischen Prozesse in Energienetzen ablaufen. Nachzuvollziehen, was im Strom-, Verkehrs- und Wärmesektor gleichzeitig vor sich geht, wird immer wichtiger, je komplexer die Vorgänge werden und je stärker sie miteinander gekoppelt sind. Außerdem können wir mit KI zum Beispiel Muster in diesen komplexen Systemen erkennen und Zusammenhänge finden, die wir sonst nicht sehen würden. Mathematik und KI können dann bei der Steuerung der Energiesysteme und Entscheidungsfindung helfen, sodass wir auch ohne Kern- oder fossile Energie zuverlässig und wirtschaftlich mit Energie versorgt werden. In unserer Software setzen wir im Fernwärmebereich unter anderem Neuronale Netze für die Prognose des Wärmebedarfs der nächsten Tage ein. Außerdem ist es denkbar, dass man auf KI-Ersatzmodelle zurückgreift, um Berechnungen für den Live-Betrieb zu beschleunigen.
 

Als Frau in der Mathematik auf dem Weg zum Doktortitel ...

würde ich nicht behaupten, dass ich mit mehr Widerständen zu tun gehabt hätte als meine männlichen Kollegen. Sicher ist es oft so, dass ich die einzige Frau im Raum bin. Das kann schon ab und zu fordernd sein, hält mich aber auf keinen Fall von meinen Zielen ab. Gerade bei Fraunhofer erlebe ich auch eine sehr diverse und internationale Gemeinschaft, in der wir uns immer auf Augenhöhe begegnen. 

Wärme aus der Ferne: Zuverlässige Energieversorgung mit Digitalem Zwilling

Dekarbonisierung ist das große Ziel der Energiebranche, also die Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energiequellen. Der Weg dahin führt über wichtige Zwischenetappen, die mit gesteigerter Effizienz und Versorgungssicherheit punkten. Johanna wirkt am Fraunhofer ITWM an einer Lösung mit, die dieses Ziel unterstützt: Mit einem Digitalen Zwilling von real existierenden Fernwärmenetzen wird fossile Energie gespart und der Umbau auf andere Wärmequellen geplant, während Wohnungen und Häuser weiter zuverlässig warm bleiben.

Die Fernwärme ist an sich schon ein effizientes System: Mit der ohnehin entstehenden Abwärme aus Kraftwerken zur Stromerzeugung wird Wasser erhitzt, per Rohrsystem zur Verbrauchsstelle geleitet und dort zum Heizen von Gebäuden oder Warmwasser genutzt. Ist das Wasser abgekühlt, fließt es zurück zur Wärmequelle – und der Prozess beginnt von vorne.

Läuft – sicher!

Um dieses System noch effizienter und robuster zu gestalten, entwickelt das Team am Fraunhofer ITWM mit Johanna die Software »AD Net Heat« weiter. Gemeinsam mit der GEF Ingenieur AG und den Technischen Werken Ludwigshafen wollen sie dafür sorgen, dass Netzbetreiber wie zum Beispiel Stadtwerke vorausschauender planen, Ressourcen schonen und die Versorgungssicherheit für Bürger:innen und Industrie wahren können. Das gelingt, indem zum Beispiel die besonders hohe Nachfrage nach Wärme zu bestimmten Tageszeiten durch optimales Vorheizen des Netzes ohne den Einsatz zusätzlich angeschalteter Gaskessel bewältigt wird. 

Ein intelligentes Abbild

Bei der Simulation mit »AD Net Heat« kommt ein Digitaler Zwilling zum Einsatz, der wie ein digitales Abbild des realen Fernwärmenetzes funktioniert. Dafür werden die physikalischen Gleichungen für den Wärmetransport in den Leitungen des Netzwerks gelöst und Daten aus wenigen, aber clever platzierten Sensoren im Fernwärmenetz sowie die realitätsnahe Verbrauchsmodellierung der Wissenschaftler:innen genutzt. Sie bezieht Heizperioden und Urlaube ebenso ein wie verschiedene Verbrauchertypen und wird mithilfe von KI auf Basis von Verbrauchsdaten erstellt. Damit schafft die Software die Grundlage für bessere Entscheidungen, um unter anderem Netzausbauten optimal zu planen oder Störungen früher erkennen zu können. In Zukunft ermöglicht sie außerdem eine gewinnbringende Verbindung von Wärme- mit Stromnetzen und hilft so bei der zügigen Energiewende im Sinne des Klimas.